Was der Anspruch an Wohnraum mit uns macht

Das Thema „Wohnen“ ist nicht nur im aktuellen Wahlkampf ein heiß diskutiertes. Es geht um sozialen Wohnungsbau, steigende Quadratmeterpreise, Landflucht und vieles mehr. Auf der Suche nach Immobilien werden mittlerweile auch durch Luxusimmobilienanbieter Reihenmittelhäuser vermarktet. 140 Quadratmeter Wohnfläche auf 192 Quadratmeter Grundstück für satte 800.000 Euro. Wer kann sich das noch leisten?

Aber ich beobachte parallel noch ein anderes Phänomen: Denn auch wenn es aktuell kaum bezahlbar ist zu bauen, scheinen die Ansprüche der Menschen an die eigenen vier Wände zu steigen.

Wir bauen gerade eine Doppelhaushälfte auf dem letzten Grundstück in einer Bestandssiedlung. Nichts Großes, aber ein Eigenheim, auf das wir sehr stolz sind. 106 Quadratmeter Wohnfläche auf zwei Etagen mit einem Nutzkeller. Und wir fühlen uns privilegiert. Die Kommentare zu unserem ganzen Stolz haben uns teilweise verblüfft. „Wie nur so klein?“, „Ist schon eher ein Schuhkarton“, „Und was macht ihr, wenn Kinder kommen?“, sind nur ein paar Beispiele.

Wie kann es sein, dass der Anspruch mancher Menschen nicht zulässt, dass man auch mit Kind(ern) auf 106 Quadratmetern glücklich werden kann?

In Internet-Foren sind die Meinungen sehr deutlich: Ein Kinderzimmer muss durchschnittlich um die 18 Quadratmeter groß sein, natürlich braucht jedes Kind ein eigenes und Dinge wie ein Kinderbad, auf jedem Stockwerk ein Hauswirtschaftsraum, ein Wäscheschacht und der offene Küchenbereich, der aber auch abzutrennen sein muss, ist Standard. Mich machen diese Diskussionen sprachlos.

Ist das noch verhältnismäßig?

Ich habe mir sehr lange mit meinem Bruder ein Zimmer geteilt und habe es geliebt. Als wir dann getrennte Zimmer hatten, waren wir zwar stolz, haben aber dennoch sehr viel Zeit in einem Raum verbracht. Mir scheint, dass hier an vielen Stellen die Verhältnismäßigkeit nicht mehr stimmt.

Wieviel Quadratmeter braucht man zum Leben und ist das überhaupt an Quadratmetern festzumachen? Fakt ist: die Schere dessen, was als Mindestanforderung an Wohnraum festgelegt wird, und dessen, was der Markt hergibt, klafft weit auseinander.

Und dennoch tappen Menschen in die Falle, sich zu vergleichen, und daraus das abzuleiten, was augenscheinlich „das Richtige“ sei. Doch das gibt es nicht, das ist gerade beim Thema Wohnen sehr individuell.

 

Dieser Text ist zuerst im Online-Magazin „Sinn und Gesellschaft“ erschienen.