Sie machen pädagogische Fachkräfte ratlos, geben ihnen Rätsel auf und sind eine Herausforderung, weil niemand weiß, was sie wirklich brauchen. Die Rede ist von so genannten Systemsprengern – Kindern und Jugendlichen, die nicht in das Raster der klassischen Angebote von Jugendhilfe passen, für die es scheinbar keine geeigneten Hilfemaßnahmen gibt. Mit diesen Kindern setzten sich rund 170 Fachkräfte aus der gesamten Metropolregion Rhein-Neckar bei einem Fachtag bei der Familienbildung im Heinrich Pesch Haus in Kooperation mit der Stadt Ludwigshafen auseinander.

Die Beschreibung „Systemsprenger“ macht  ein Hauptproblem deutlich: „Systemsprenger ist ein unguter Begriff und eine Zuschreibung von außen“, erklärt der Hauptreferent des Tages Menno Baumann, Professor für Intensivpädagogik an der Fliedner Fachhochschule in Düsseldorf und Bereichsleiter „Innovative Hilfen“ der Leinerstift Akademie GmbH (Foto). „Systemsprenger fallen nicht vom Himmel“, betont auch Jürgen May, Leiter des Stadtjugendamts Ludwigshafen, und erntet mit dieser Einschätzung die Zustimmung von Sabine Buckel, Leiterin des Ludwigshafener Zentrums für Individuelle Erziehungshilfen (LuZIE).

Wenn ein Kind oder ein Jugendlicher immer wieder auffällig wird, in der eigenen oder der Pflegefamilie oder einer Wohngruppe keine Regeln einhält, grenzverletzend und respektlos ist, die Schule verweigert, zum Teil auch bedrohlich oder selbstverletzend ist, dann fehlt ganz offensichtlich der „Maßanzug“, um ihm zu helfen.

„Es ist das Thema schlechthin“, Ludwigshafens Bürgermeisterin und Dezernentin für Dezernentin für Kultur, Schulen, Jugend und Familie Prof. Dr. Cornelia Reifenberg bei der Eröffnung der Fachtagung. Zahlen über Systemsprenger gibt es bundesweit zwar nicht; aber Sabine Buckel berichtet aus Erfahrung, dass unter den von LuZIE betreuten Kindern und Jugendlichen immer mindestens drei sind, die „aus dem Rahmen fallen“. Die Zahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen ist nicht gestiegen, so Jugendamtsleiter May, „aber wir schauen heute genauer hin.“ Und: „Wir sind konsequenter in dem Anliegen geworden, kein Kind verloren zu geben.“

Verschiedene Kompetenzen müssen zusammen wirken

Um den Kindern und Jugendlichen adäquat zu helfen, müssten freie und öffentliche Träger der Jugendhilfe und die Wissenschaft eng zusammenarbeiten – auch über kommunale Strukturen hinweg, so Prof. Reifenbergs Forderung. Genau das war auch das Ziel der Veranstaltung: Mit dem interessanten und inspirierenden Vortrag von Prof. Baumann wurden die Teilnehmenden aus verschiedenen Professionen fundiert in die Thematik eingeführt. Anhand vieler Beispiele aus seiner Praxis gelang ihm mühelos der Transfer von Wissenschaft in die alltägliche Arbeit.

Am Nachmittag waren seine Ausführungen Grundlage dafür, an echten Fallbeispielen gemeinsam zu arbeiten. Das kam bei den Teilnehmenden sehr gut an. Sie erlebten es als bereichernd, sich „mit Akteuren aus unterschiedlichen Bereichen mit individuellen Blickwinkeln“ auszutauschen. Daneben bewerten sie es als vorteilhaft, dass die ohnehin vernetzten Institutionen ebenso gestärkt wurden wie die Lust zusammenzuarbeiten.

„Mit diesen Aussagen hat sich die Tagung als erfolgreich erwiesen“, freut sich Ulrike Gentner, Direktorin Bildung im Heinrich Pesch Haus: „Wir möchten mit solchen Bildungsveranstaltungen Fachkräfte in ihrer Arbeit zu neuen kreativen Lösungen ermutigen. Die Träger der Jugendhilfe sollen als Kooperationspartner das Zusammenspiel der Kräfte  stärken.“

Walter Münzenberger, Geschäftsführer Ökumenische Fördergemeinschaft Ludwigshafen, ist überzeugt, dass es keine „unerreichbaren“ Kinder und Jugendliche gibt. „Um sie zu erreichen, müssen die Fachkräfte und Jugendhilfeeinrichtungen ihre eigenen Möglichkeiten und Grenzen kennen, aber auch die der Partner“, fordert er. Solche Partner können sich in derselben Kommune finden, aber auch über kommunale Grenzen hinweg. Genau in diesem erweiterten Blickwinkel lag der Charme der Veranstaltung.

„Die interkommunale Zusammenarbeit ermöglicht uns einen gewinnbringenden Austausch über Fallkonstellationen, Lösungsansätze und die Wirksamkeit unterschiedlicher Konzepte“, erklärt Dr. Peter Schäfer, Leiter des Jugendamts und Gesundheitsamts in Mannheim. „Wir profitieren von den Erfahrungen verschiedener Kommunen und Einrichtungen und können gemeinsam an Lösungsansätzen für neue individuelle Hilfemöglichkeiten arbeiten.“

Durch gezielte Zusammenarbeit kann es gelingen, das Kind nicht „weiterzuleiten“ von einer Institution in die nächste oder  zu stigmatisieren: „Dir ist nicht zu helfen.“ Statt dessen, so Jürgen May, „versprechen wir uns durch diese Tagung Verbundlösungen; damit jeder Träger seine Kompetenz einbringt, um das Verhalten des Kindes zu verstehen und handeln zu können.

Auch der SWR berichtete über die Tagung. Die Berichterstattung finden Sie hier.