Sie heißen Systemsprenger: schwer zu erreichende Jugendliche, die nicht in das Raster der klassischen Angebote von Jugendhilfe passen. 220 Fachleute aus der Metropolregion Rhein-Neckar haben sich am 28. Januar bei einem Fachtag im Heinrich Pesch Haus mit Lösungsmöglichkeiten beschäftigt, um angemessen auf diese Kinder und Jugendliche eingehen zu können.

Systemsprenger machen pädagogische Fachkräfte ratlos, geben ihnen Rätsel auf und sind eine Herausforderung, weil niemand weiß, was sie wirklich brauchen. Schon vor einem Jahr standen diese Kinder und Jugendlichen bei einer Fachtagung im HPH im Mittelpunkt. Damals wurde deutlich, dass der Begriff „Systemsprenger“ kein Kind oder keinen Jugendlichen stereotypisieren bzw. beschreiben soll, der wortwörtlich ein System sprengt, sondern vielmehr einen Prozess markiert, an dem mehrere Akteure beteiligt sind.

Wie können Systeme Systemsprengern gerecht werden?

In diesem Jahr standen verstärkt die Systeme im Mittelpunkt. Prof. Dr. Menno Baumann, Professor für Intensivpädagogik an der Fliedner Fachhochschule in Düsseldorf und Bereichsleiter „Innovative Hilfen“ Leinerstift e.V., Großefehn, analysierte die Funktionsweisen der Systeme und deren Schnittstellen, in denen Jugendliche und Jugendhilfe aneinander scheitern. Er ging der Frage nach, was Systeme für einen erfolgreichen Umgang mit diesen Kindern und Jugendlichen brauchen. Wo liegen die Schwachpunkte der Systeme? Wo können bzw. müssen die Systeme nachgebessert werden, damit sie Kindern und Jugendlichen gerecht werden?

Niemand will zuständig sein

Als ein Problem im Umgang mit Systemsprengern lokalisierte er das „Ping-Pong-Spiel“: Wie zum Beispiel bei einer Familie mit einem elfjährigen Kind, bei der elf Fachleute aus verschiedenen Einrichtungen am Tisch saßen. „Alle waren sich einig – der Kern des Problems liegt bei jemand anderem am Tisch.“

Ernsthaftes Interesse an Kooperation ist wichtig

Die Sprachverwirrung der verschiedenen Einrichtungen der Jugendhilfe und auch der Justiz ist für Baumann ein weiteres Problem. „Wir benutzen nicht dieselbe Sprache. Doch das wäre die Grundlage. So wird die Kooperation verhindert“, betonte er. Die gemeinsam geteilte Repräsentation des Problems sei die Voraussetzung für den Umgang mit herausfordernden Jugendlichen. Alle beteiligten Fachleute brauchen „ein ernsthaftes Interesse an Kooperation“, sie müssen einen gemeinsamen Leitfaden finden wollen. „Sonst wird es schwer“.

Eine Haltung entwickeln

Er rief die Teilnehmenden dazu auf, die Frage nach der gemeinsam geteilten Repräsentation des Problems zu stellen: Wie finden wir zurück zu einer gemeinsamen Sprache, zu einer gemeinsamen Verständigung, nach der wir dann auch handeln? Bei all dem sei es wichtig, eine Haltung zu haben – eine Haltung zu den jungen Menschen, zu Prozessen, Methoden und Abläufen in der Arbeit.

Fälle können regional gelöst werden

Der Intensivpädagoge stellte den Fachleuten seinen Lösungsansatz für den Umgang mit Systemsprengern vor: „Die Lösung des Problems Systemsprenger klappt nie durch Kompetenzzentren, sondern nur, wenn die regionale Versorgung gut funktioniert“, betonte er. Grundlegend seien die ambulante und stationäre Grundversorgung vor Ort. Wichtig sei eine Kontinuität in der Begleitung. Flankierend brauche es Unterstützungs- und Entlastungskonzepte. Es brauche Strukturen, in denen Träger interdisziplinär im Gespräch sind – dies könnten etwa Koordinierungsstellen und Kooperationsnetzwerke sein. „So könnte man die meisten Fälle regional lösen“, ist er überzeugt.

Systemübergreifende Lösungsansätze finden

Ludwigshafens Bürgermeisterin Prof. Dr. Cornelia Reifenberg sieht die Träger, Leistungsanbieter und Jugendämter in der Region da schon auf einem guten Weg, war der Fachtag doch gemeinsam durch die Städte Ludwighafen und Mannheim, durch die Kreisverwaltung Bad Dürkheim, den Arbeitskreis externe Qualitätsentwicklung Ludwigshafen und das Heinrich Pesch Haus organisiert. „Eine selbstkritische Weiterentwicklung der Jugendhilfe an dieser Stelle kann nur funktionieren, wenn systemübergreifend und gemeinsam Lösungsansätze gefunden werden können“, sagte sie. Diese Verantwortung könne und solle nicht alleine getragen werden. Ihr Dank galt Professor Baumann für die fachlichen Impulse, „damit die uns herausfordernden jungen Menschen zukünftig mehr Verantwortungsgemeinschaften erleben und kein überfordertes Weiterreichen durch die Institutionen erleben müssen.“

Austausch als Mehrwert

Am Nachmittag setzten die Teilnehmenden die Impulse aus den Vorträgen in Foren in die Praxis um. Das war für die Fachkräfte ein echter Mehrwert: Sie lobten die gute Atmosphäre, die Möglichkeit zum Austausch über die Institutionen hinweg und nicht zuletzt die ausgezeichnete Organisation des Fachtags. „Die fachlichen und dennoch teilweise offenen Anregungen, um sich auszutauschen und zuzuhören und einzusteigen, haben mir sehr gut gefallen“, sagte eine Teilnehmerin.

Gemeinsam auf dem Weg

„Es ist schön zu sehen, wie ein solches Thema institutsübergreifend verbindet und sich Verantwortungsträger wie Akteure gemeinsam auf den Weg machen, damit im besten Fall kein Kind oder Jugendlicher durch das Hilfesystem fällt“, freute sich Ulrike Gentner, stellvertretende Direktorin und Direktorin Bildung im HPH, über das große Interesse an der Fachtagung.

 

Foto: HPH