Alle Mamas und Papas kennen das: Das Kind hat schon morgens schlechte Laune, trödelt, hat seinen eigenen Kopf und keine Lust, den Bitten und Anweisungen der Eltern zu folgen. Auch die Eltern sind müde, in Zeitnot oder einfach schlecht gelaunt. Da kann es passieren, dass sie laut werden. Die amerikanische Bloggerin und Buchautorin Kelly Holmes hat einen Trick entwickelt, damit Eltern sich in solchen Fällen besser unter Kontrolle haben.

Ihre Lösung: Haargummis. Kelly Holmes nutzt sie als sichtbare Erinnerungen daran, sich ihrer Reaktion bewusst zu sein. Sie beschloss, jeden Morgen, wenn ihre Tochter wach wird, fünf Haargummis an ihr linkes Handgelenk zu machen. Immer, wenn sie an diesem Tag laut oder harsch gegenüber ihrer Tochter geworden ist, wechselte sie ein Haargummi vom linken auf das rechte Handgelenk. Um es wieder auf die linke Hand zurückschieben zu können, ließ sie ihrem Kind fünf besondere Nettigkeiten zukommen. Das waren zum Beispiel ein Kompliment, ein Küsschen, eine Umarmung oder eine gemeinsame Aktivität wie spielen, singen oder tanzen. Ihr Ziel war es, jeden Abend alle fünf Bänder am linken Handgelenk zu haben.

Die Methode beruht auf dem „5:1-Verhältnis“, einer psychologischen Interaktionstheorie des amerikanischen Beziehungsforschers Professor John Gottman: Um eine negative Erfahrung wieder gut zu machen, braucht es fünf positive. So bleibe die Beziehung im Gleichgewicht und stabil.

„Eltern dürfen und sollen ihre Emotionen zeigen“

Im Internet hat Kelly Holmes mit dieser Methode Begeisterung ausgelöst. Doch Iris Letsch, Mitarbeiterin der Familienbildung im HPH und Familienpädagogin, hat Bedenken hinsichtlich der „Haargummi-Methode“: „Es gibt Situationen, in denen Eltern im wahrsten Sinne des Wortes einen dicken Hals haben“, sagt sie voller Verständnis: „Junge Eltern sind oft überfordert, schlecht gelaunt, wütend oder grollig.“ Dann helfe es nicht weiter, sich mit Dingen wie dem Haargummi auch noch ein schlechtes Gewissen zu machen.

Ihr Tipp statt dessen: „Nehmt euch nicht so ernst!“ Situationen könnten auch anders entschärft werden, betont sie – mit Möglichkeiten, die sie auch in unterschiedlichen Kursen mit Eltern ausprobiert und einführt. Eine davon nennt sie „Zeitungsschlacht“: „Wenn ich wirklich wütend bin, dann hilft es dem Kind und mir, mich körperlich auszupowern. Das kann eine Kissenschlacht oder eine Schneeballschlacht sein, oder ich kann Zeitungen zerreißen, zerknüllen und schmeißen.  Das verletzt niemanden, und es geht nichts kaputt. Und außerdem: Adrenalin bekommen  wir nicht durch Entspannung weg, sondern nur durch Bewegung und Dynamik.“

Bei Stress oder Belastung mit kleinen Kindern empfiehlt sie auch eine Methode, die aus der Progressiven Muskelentspannung kommt. Im wesentlichen geht es darum, die Stirn zu runzeln und die Nase zu rümpfen oder die Mundwinkel zu den Ohren zu ziehen und dabei die Zunge fest an den Gaumen zu pressen. Vorteil eins: „Wenn man sich traut, das vor dem Spiegel zu machen, muss man unweigerlich lachen, weil das so komisch aussieht.“ Vorteil zwei: Das Loslassen und Entspannen tut gut. Vorteil drei: Das Kind sieht am „verkniffenen Gesichtsausdruck“ der Mutter, dass sie schlecht gelaunt oder von der Situation angestrengt ist. Es lernt dieses Zeichen erkennen.

„Eltern dürfen und sollen ihre Emotionen zeigen“, betont Iris Letsch abschließend. Denn Kinder lernen von ihnen Emotionen – und den Umgang damit.

Trübe Tage darf es geben

Auch Ulrike Beck, Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin bei der Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern der Stadt Ludwigshafen teilt die Bedenken von Iris Letsch: Die „Haargummi-Methode“, sagt sie, ritualisiere den Erziehungsalltag und den Umgang mit den Kindern. Aber sie rege nicht eine andere, neue Beziehungsqualität an.

„Kinder haben gute und schlechte Tage, Mütter und Väter sind auch manchmal schlecht gelaunt“, erinnert sie. „An solchen Tagen haben Eltern meist wenig Geduld, machen sich mehr Sorgen um die Zukunft, haben mehr Angst, was der Tag alles bringen mag, haben weniger Zuversicht, fühlen sich unbedeutend, wirkungslos und zu wenig wertgeschätzt. An einem dieser trüben Tage will das Kind nicht aufstehen, nicht essen, trödelt herum, hat keine Lust auf die Hausaufgaben, will sich nicht die Zähne putzen. Alle Eltern kennen das. Und trotzdem müssen sie eine Entscheidung gegen den Willen der Kinder treffen. Klar, das wird sehr anstrengend werden! Und da werden Worte gesagt und Dinge getan, die man nicht sagen und tun würde, wenn es nicht einer dieser trüben Tage wäre.“

In dieser Situation seien zwei Fragen ausschlaggebend: Welche Haltung hilft? Wie kann die Beziehung gestaltet werden? Denn: Trübe Tage lassen sich nicht vermeiden. Sie gehören zum Leben. „Und Kinder zu erziehen, ist das Anspruchsvollste überhaupt. Eigentlich ist das nur gemeinsam und solidarisch zu meistern. Am Ende eines solchen Tages sollten sich Eltern verzeihen können und ihren Kindern verzeihen können. Ein gemeinsames Gespräch darüber, was eigentlich ganz gut gelaufen und gelungen ist an solch einem trüben Tag, kann allen helfen, sich entspannt eine gute Nacht zu wünschen und den Herausforderungen des nächsten Tages gelassener entgegen zu sehen“, ermutigt Ulrike Beck Eltern.

Auf der Suche nach Edelsteinmomenten

Auch wir meinen: „Es tut gut, wenn wir uns im Alltag ganz aktiv und reflektiert mit den Dingen beschäftigen, die uns im Nachhinein leid tun“, sagt Jana Schmitz-Hübsch, Leiterin der Familienbildung. „Mindestens genauso wichtig ist aber, dass wir ausprobieren und lernen, wie wir in solchen Situationen angemessen reagieren, und lernen, den Fokus auf die schönen Dinge im Leben zu richten.

Mit einer Veranstaltung bei der Familienbildung im HPH gehen wir deshalb gemeinsam mit Eltern auf die Suche nach „Edelsteinmomenten im Alltag mit dem Kind“. Das sind Momente mit dem intensiven Gefühl von Nähe, Vertrautheit und Glück, dies es auch mitten im stressigen Alltag geben kann. Mehr zu dieser Abendveranstaltung am Dienstag, 09.04.2019, um 19.30 Uhr erfahren Sie hier.

Foto ©: Iris Letsch