Sven Tjaben vom Projekt „Erzählen für Flüchtlingskinder“ in Berlin hat Erfahrung darin, auch Kinder an erzählten Geschichten teilhaben zu lassen, die kein oder nur ganz wenig Deutsch sprechen und verstehen. Über hilfreiche Spiele und Übungen berichtete er jetzt bei der Fachtagung Erzählen und interkulturelle Vielfalt der Familienbildung im Heinrich Pesch Haus.

Anregungen und Workshops zum Erzählen in der pädagogischen Arbeit

Tjaben war einer von fünf Referenten bei diesem Fachtag unter Leitung von Thomas Hoffmeister-Höfener, Künstlerischer Leiter der Erzählwerkstatt im HPH. Rund 50 pädagogische Fachkräfte interessierten sich für Anregungen und Workshops zum Erzählen in der pädagogischen Arbeit – mit dem Fokus auf Integration und interkulturellen Dialog.

Sven Tjaben berichtete davon, wie schwierig es anfangs war, die Kinder ausFlüchtlingsfamilien überhaupt in den Bann der Geschichten zu ziehen. Sie lebten unter sehr beengten Bedingungen zusammen mit Menschen unterschiedlicher Kulturen und waren meist sehr wild. „Rituale, an denen sie sich auch ohne Sprache beteiligen können,  sind sehr wichtig“, so Tjaben, und: „Großer Körpereinsatz und Dinge, die auch ohne Sprache zu verstehen sind, helfen ebenfalls.“ Die Erfolge des Erzählens waren vielfältig: „Die Kinder haben tagtäglich das Gefühl, in einer  Welt zu leben, in der sie nichts verstehen. Deshalb geht es beim Erzählen um Teilhabe und um Mitmachen.“ Geschichten waren für diese Kinder eine Brücke, um Zuhören zu lernen, aber sie waren auch gemeinschafts-bildend: „Die Kinder haben sich immer mehr zu einer verschworenen Gruppe entwickelt – und parallel dazu haben sich ihr Spracherwerb und ihre Ausdrucksmöglichkeiten erweitert.“

Selma Scheele hat ein türkisches und ein deutsches Elternteil – und sie erzählt zweisprachig. Sie konnte gute Tipps zum mehrsprachigen Erzählen vermitteln. Für Kinder, die mit einer anderen Sprache aufwachsen, ist die Freude oft groß, Bekanntes zu hören. Wichtig ist, dass die Geschichte nicht eins zu eins übersetzt wird, sondern die andere Sprache ganz natürlich einfließt. Wie das funktioniert, das konnten die Teilnehmenden in einem Workshop ausprobieren. Selma Scheele rät, Eltern oder auch Kinder als „Experten für eine andere Sprache“ einzubeziehen und von ihnen im Vorfeld einige Wörter zu erlernen.

Odile Néri-Kaiser stammt aus Frankreich. Sie ist „Märchenfan“, denn: „Märchen sind Transfergeschichten“, sag sie später in ihrem Workshop. Sie nutzt diese Vorliebe für die Arbeit mit geflüchteten Kindern. Vor allem das Thema „Baum“ hat es ihr angetan – denn sie findet hier viele Parallelen zu Kindern: „Auch sie brauchen Wurzeln, müssen fest stehen, sich entfalten können und Früchte tragen“. Wenn die Erzählerin mit Kindern über Bäume spricht, dann „kommen wir immer vom individuellen Baum zum Wald – und stellen fest: Der beste Wald ist der Mischwald!“ Sie rät den Teilnehmenden auch dazu, selbst zuzuhören und zu reflektieren, dass die Kinder schon vieles in ihrem Leben erlebt haben. „Erzählen kann ein guter Weg sein, dass die Kinder selbst nach innen kommen – und dass schöne Bilder nicht nur in ihrem Kopf, sondern auch in ihrem Herzen entstehen.“

Gerda Ludwig von der Arbeitsstelle Interkulturelle Erziehung in der Stadt Ludwigshafen begrüßt es, dass immer mehr Erzieherinnen mit verschiedenen Sprachen und kulturellem Hintergrund in den Kindertagesstätten arbeiten. Sie weiß, wie wichtig es ist, mit den Kindern in Dialog zu treten, beim Erzählen und auch beim Vorlesen.

Sprachen und Kulturen zusammenbringen

Die BASF SE unterstützte den Fachtag ebenso wie das VII. Internationale Erzählfest in der Metropolregion Rhein-Neckar. Dr. Kristin Januschke vom Bereich Corporate Citizenship – Bildung der BASF SE begründet dieses Engagement damit, dass es gerade für ein weltweit agierendes Unternehmen wichtig sei, verschiedene Sprachen und Kulturen zusammen zu bringen – Teilhabe und Integration, auch im frühkindlichen Bereich, sind daher wichtige Schwerpunkte des gesellschaftlichen Engagements. Dr. Januschke betonte gegenüber den Teilnehmenden, dass es beim Erzählen nicht um Perfektion, sondern um Zuwendung zu den Menschen gehe.

Auch Ulrike Gentner, Leiterin der Familienbildung im HPH, ist überzeugt, dass Geschichten helfen, damit Zuhörende und Erzählende gemeinsam eine neue Welt herstellen. Beim Erzählen von Geschichten und im interkulturellen Austausch geht es aus ihrer Sicht auch um Zugangsgerechtigkeit zu Bildung und um die Achtung vor der Kultur Anderer. Maßgebende Werte wie Anerkennung und Gleichheit seien Richtschnur für eine interkulturelle Öffnung von Menschen und Organisationen. Ein Schlüssel liege im Verstehen und Achten von Gleichheit und Differenz.
Ulrike Gentner dankte der BASF SE und allen Mitwirkenden für die Unterstützung des Fachtags.

brid /18.09.2017