Frau Fleischer, welche Vorstellungen machen sich Kinder vom Kranksein und vom Sterben?

Schon in den ersten Lebensjahren entwickelt ein Kind eigene Vorstellungen von den Begriffen „belebt“ und „unbelebt“. Erste Beobachtungen macht das Kind meist in der Natur: Blätter im Herbst verfärben sich und fallen vom Baum oder der tote Vogel am Wegesrand. Es entwickelt ein natürliches Interesse. Es empfindet bereits Verluste, kann aber mit Krankheit, Sterben und Tod noch nichts anfangen.

Kindergartenkinder wissen in der Regel vom Tod, meinen aber oft, dass er sich mit dem Leben abwechselt. Die Endgültigkeit des Todes ist ihnen meist noch nicht bewusst. Sie beginnen aber Fragen zu stellen und darüber nachzudenken, was nach dem Tod ist; wie es ist, wenn der Körper zerfällt und was danach passiert.

Im Grundschulalter verstehen die meisten Kinder die Bedeutung des Todes und die daraus resultierenden Ergebnisse. Sie können verstehen, dass der Tod etwas völlig anderes ist als das Leben und dass auch eine schlimme oder schwere Krankheit zum Tod führen kann. Sie erfahren, dass der Tod endgültig ist und der Verstorbene nicht wieder kommt.

Danach nähert sich die Todesvorstellung mehr und mehr dem Verständnis der Erwachsenen an. Im Jugendalter gewinnen religiöse und philosophische Überlegungen an Bedeutung. Jugendliche gehen dann aber oft wieder in scheinbare Distanz zum Thema Tod.

Manche Eltern haben die Vorstellung, dass man die Begegnung mit schwerer Krankheit und Tod von Kindern eher fernhalten sollte. Was meinen Sie dazu?

Eltern lieben ihre Kinder und wollen für sie nur das Beste. Wenn Eltern entscheiden, ihre Kinder von Krankheit und Sterben fernzuhalten, dann meinen Sie es eigentlich nur gut. Sie wollen ihre Kinder schützen und nicht belasten. Und genau in solchen Momenten ist es wichtig, mit den Eltern ins Gespräch zu kommen. Meist stecken nämlich eigene Ängste, Sorgen und Bedenken hinter der Entscheidung, Kinder von solchen schweren Themen und Gefühlen fernzuhalten. Kinder haben einen ganz natürlichen Zugang und stellen Fragen, sind neugierig, wollen lernen, begreifen und verstehen, warum jemand krank ist oder wird und was es mit dem Tod auf sich hat. Auch Kinder sollen die Chance haben dürfen, sich von einem sterbenden oder bereits verstorbenen Menschen verabschieden zu können. Dabei kann helfen, zu wissen: Kinder sind Meister im Umgang mit Sterben, Tod und Trauer. Sie nehmen für sich, was sie brauchen und können aber anders wie wir Erwachsenen aus der Trauersituation wieder heraus gehen. Man spricht gerne von „Pfützenspringen“: Kinder springen rein in die (Trauer-)Pfütze und springen aber schnell auch wieder heraus und gehen ihren eigenen Themen, ihrem Alltag im Spielen nach. Es ist keine Belastung für die Kinder, sich mit den Themen auseinander zu setzen. Es ist vielmehr Entlastung. Sie müssen sich so nämlich nicht ihre eigenen Vorstellungen machen, die meist mit der Realität nicht mehr viel zu tun haben.

Wenn Erwachsenen mit Kindern sprechen, sie einbeziehen, dann können alle voneinander und miteinander lernen. Die Kinder lernen, ihre Fragen stellen zu dürfen und wenn es möglich ist, Antworten darauf zu bekommen. Oder sie lernen, dass es auf manche Fragen vielleicht keine Antworten gibt. Sie erfahren so aber, dass Krankheit und Tod keine Tabuthemen sind. Das ist wichtig. Sie lernen, ihre eigene Sicht der Dinge zu entwickeln und fühlen sich als Teil der Familie und Gemeinschaft und stehen nicht im Abseits. Und Erwachsene können von Kindern einen natürlichen Umgang mit Gefühlen lernen und erfahren vielleicht so, wie wunderbar auch Kinder trösten können. Unser damals 6-jähriger Sohn sagte beim Abschiednehmen am offenen Sarg seiner Uroma den Satz: „Ich weiß, warum Uroma gestorben ist: sie war satt vom Leben!“

Wie kann man ein Kind unterstützen, damit zurecht zu kommen, dass zum Beispiel Opa oder Oma gestorben sind?

Das Allerwichtigste ist es, das Kind mit einzubeziehen und ihm den Raum für seine Trauer zu geben. Es hat so die Chance, zu erleben und zu lernen, dass es normal ist, traurig sein zu dürfen und dass die Traurigkeit einen Platz haben darf, wenn Oma und Opa gestorben sind. Den Weg des Abschieds sollten alle gemeinsam und miteinander gehen und gestalten. Im Gespräch mit dem Kind wird deutlich, was es jetzt braucht. Sind Fragen im Raum oder macht sich ein Kind Gedanken, wo die Oma oder der Opa jetzt ist, dann können Bilderbücher eine Hilfe sein, Gefühle oder Gedanken ins Wort zu bringen. Die Familie kann gemeinsam ein Erinnerungsbuch gestalten, mit Fotos, Eintragungen und Erinnerungen: Was war die Lieblingsfarbe, das Lieblingsessen, besondere Erlebnisse mit Oma oder Opa. Man kann eine Schatzkiste gemeinsam bauen, in der wichtige Erinnerungen Platz haben dürfen. Jeder gibt etwas in diese Schatzkiste hinein. Sie hat einen Platz im Haus und immer wieder wird sie geöffnet und man erzählt, was einem gerade bewegt und beschäftigt.

Ein wichtiger Schritt im Trauerprozess ist auch das Erleben der Beerdigung. Kein Kind ist zu klein, um dabei sein zu können. Sie können Bilder malen oder Blumen mitbringen und ins Grab geben. So geben sie Oma oder Opa noch einmal etwas Wichtiges mit: etwas von sich und ganz viel Liebe. Das tröstet auch jedes Kind.

Veranstaltung zum Thema

Mit der Digitalveranstaltung zum Thema „Wie sag ich’s meinem Kinde?“ am 10. Mai von 19 bis 21.30 Uhr bietet das Bistum Speyer Halt und Orientierung für diese Gesprächssituationen an. Kerstin Fleischer (Hospiz- und Trauerseelsorge) und Thomas Stephan (Schulpastoral) geben praktische Anregungen und schaffen Raum zum Gespräch über eigene Erfahrungen. Die Teilnahme ist kostenlos.

Kontakt für Rückfragen und Anmeldung:

Referat der Hospiz- und Trauerseelsorge
Frau Wagner, Tel. 06232-102288
hospiz-trauerseelsorge@bistum-speyer.de.

Nach der verbindlichen Anmeldung erhalten die Teilnehmer/innen kurz vor der Veranstaltung den Zugangs-Link.

Anmeldeschluss ist der 3. Mai 2021.

 

Interview und Text: Bistum Speyer