Jungen sind erst einmal Kinder. Sie lernen, spielen, lachen, sind neugierig, fröhlich, wütend oder traurig, wie alle Kinder. Es ist gut, Kinder darin zu unterstützen, so zu sein und so sein zu dürfen, wie sie individuell sind: Nicht rosa oder hellblau, sondern zuerst einfach ein Kind.

Aber neben vielen anderen Fragen sind Jungen auch mit ihrem Männlich-Sein beschäftigt. Der Grund dafür ist, dass in unserer Gesellschaft Geschlechter sehr wichtig sind. Es gibt keine soziale Struktur, die mehr Bedeutung hat. Kein Wunder, dass Jungen wissen wollen, wie männlich geht und mit diesen Fragen soziale und Bildungs-Einrichtungen kommen. Daraus begründet sich ein pädagogischer Auftrag, Jungen auch in ihrem Männlichsein zu unterstützen und zu bilden. Darum geht es in der Jungenpädagogik.

Jungen pädagogisch unterstützen

Eine Grundlage der Jungenpädagogik ist das Wissen darüber, woher das Männliche bei Jungen kommt. Es gibt dafür drei Ursprünge: manches ist körperlich bedingt, zum Beispiel die langsamere Sprachentwicklung oder die verzögerte Impulsregulation; vieles hängt mit der Psyche, mit Bindungen und Beziehungen zusammen, etwa die geschlechtlich geprägten Mutter- und Vaterbeziehungen des Jungen; und schließlich gibt es gesellschaftliche Einflüsse, die Jungen männlich machen, also Männlichkeitsbilder und -aufträge oder auch Geschlechterstrukturen in der Erziehung, Jungen haben mit sehr vielen Frauen und sehr wenigen Männern zu tun. All das macht die Lage für Jungen besonders, sie entwickeln daraus Bedürfnisse und Bewältigungsformen. Für den fachlichen Umgang damit braucht es Jungenpädagogik.

Bislang erhalten Jungen von der intentionalen Bildung kaum Unterstützung für ihre Suche nach dem Männlichen. Aber sie ernten reichlich Kritik und Disziplinierung, wenn sie mit ihrem Männlichsein experimentieren. Verhalten sich Jungen in Kindergarten oder Schule „männlich“, bekommen sie Probleme; toben, wild sein, Aggressionen stören. Aber auch wenn Jungen sich „weiblich“ verhalten, mit Puppen spielen, sich schminken, pink oder rosa tragen, irritiert das andere Kinder, Eltern und Erziehende, und das bekommen die Jungen wieder zu spüren. Mädchen ist so gesehen mehr erlaubt, Jungen sind stärker eingeschränkt. Jungenpädagogik schafft Spielräume fürs Männliche. Jungen sind eben nicht gleich, sondern untereinander verschieden, ihr Männlich-Sein ist vielfältig. Darauf gibt Jungenpädagogik Resonanz und erweitert die Möglichkeiten, damit jeder Junge so männlich sein kann, wie es für ihn am besten passt.

Natürlich sollen Jungen nicht abwertend, sexistisch, gewalttätig, oder selbstgefährdend unterwegs sein. Allerdings genügt ein „so nicht“ keineswegs als Orientierung. Jungen brauchen auch aus der Pädagogik positive Perspektiven für ihr Männlichsein. Sie wollen erfahren, was und wie sie sein sollen; sie brauchen Stoff, Informationen und Anregungen, um sich im Männlichen weiterzubilden. Genauso sind aber auch Bildung und Erziehung selbst auf positive Ziele und auf Substanzielles angewiesen, weil sie sonst in Vermeidung und Verhinderung hängenbleiben. Jungenpädagogik ist der fachliche Hintergrund dafür: Sie versucht, auf geschlechtsbezogene Lern- und Entwicklungsprozesse von Jungen positiv Einfluss zu nehmen.

Positive Einflüsse fürs Männliche schaffen

Und was sind mögliche Kriterien für solche Bildungsprozesse? Ein wesentliches Ziel besteht darin, das Geschlechtliche der Jungen sozial verträglich und stabil zu entwickeln: So, dass es später tragfähig für ein künftiges Männerleben sein wird. Da helfen heute alte Konzepte wie körperliche Stärke, Großspurigkeit und Abwertung nicht mehr weiter. Jungenpädagogik forscht nach Alternativen und hilft Jungen, für sich stimmende Vorstellungen ihres Männlichseins zu entwickeln.

Gleichzeitig will Jungenpädagogik einen Beitrag zu geschlechterbezogener Gerechtigkeit leisten. Jungenpädagogik zielt auf Ausgleich: Wo Jungen Mädchen oder Frauen abwerten, intervenieren Fachkräfte und bietet den Jungen Alternativen; Jungen fühlen sich in pädagogischen Einrichtungen oft viel weniger wohl als Mädchen – Jungenpädagogik versucht, das zu ändern; Jungen zeigen öfter riskantes Verhalten, Jungenpädagogik vermittelt ihnen Risikokompetenzen, damit sie das gesund überstehen.

Drei Hauptsätze der Jungenpädagogik

So werden in der Jungenpädagogik fachliche Ansätze verfolgt, die sich in drei Hauptsätzen zusammenfassen lassen:

Jungenpädagogik greift Bedürfnisse von Jungen auf, die aus ihrem Männlichsein resultieren und mit ihm verknüpft sind; sie gibt diesen Bedürfnissen Raum und Resonanz. Resonanz meint dabei nicht, alle diese Bedürfnisse einfach zu bedienen oder sie zu befriedigen; dennoch bietet Jungenpädagogik aus dem Verstehen der Bedürfnisse heraus und dort, wo es sinnvoll und möglich ist, adäquate Antworten darauf, z. B. Klarheit, Bewegung, Handeln, Statusklärung, Konfrontation, Aufgabenbeziehung oder stabile Autorität bei den Fachkräften.

Jungenpädagogik hilft Jungen dabei, ihr Männlichsein weiterzuentwickeln und zu erweitern. Dafür werden Jungen einerseits Anregungen, Erfahrungen, Anreize und Orientierungen geboten; andererseits brauchen Jungen bisweilen auch Beschränkungen und Begrenzung. Besonders dort, wo sich das Männliche aus der Ab- oder Entwertung anderer herleitet, erhalten Jungen Alternativen, die auf Selbstbezüge, Werte und Anerkennung setzen.

Jungenpädagogik setzt auf große Bandbreiten, auf eine Vielfalt des Männlichen. Dementsprechend nehmen die Fachkräfte die Unterschiedlichkeit der Jungen in ihrem Männlichsein wahr und spiegeln sie: »So ist männlich und das ist männlich und so ist es auch männlich.« Jungenpädagogik stellt sich aktiv gegen reduzierte Vorstellungen und Engführungen durch Stereotype, Geschlechter-Idealisierungen und -normierungen.

Reinhard Winter

 

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