„Menschen suchen von Geburt an ein Gefühl von Zugehörigkeit!“ So zitierte Werner Strubel, 1. Vorsitzender des Vereins für praktizierte Individualpsychologie e.V. (VpIP), eine zentrale Aussage des Psychiaters und Psychotherapeuten Rudolf Dreikurs. Dem Vertreter der Individualpsychologie war immer der Blick auf den Menschen als ganzheitliches Wesen aus Körper, Geist und Seele wichtig. Der VpIP hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Gedanken und die praktische Anwendung zu verbreiten.

Die Methode des Gruppen-, Klassen- und Familienrats nach Dreikurs ist eine nahezu logische Konsequenz aus seinen Überzeugungen. Sie stand nun im Mittelpunkt einer Fachtagung, die der Verein für praktizierte Individualpsychologie in Kooperation mit dem Bischöflichen Ordinariat Speyer und der Familienbildung im Heinrich Pesch Haus anbot.

„Der Ansatz klingt so einfach, und doch steckt so viel darin“, ist Ulrike Gentner, Direktorin Bildung im HPH, davon überzeugt, und zählt auf: die Haltung von Respekt und Wertschätzung; Prinzipien der Gleichberechtigung und Partizipation; eigene Erfahrungen machen, diese zu reflektieren und dabei Kompetenzen entwickeln; und schließlich Gemeinschaft erleben und miteinander auf dem Weg zu sein: „Das stärkt die jungen Menschen und entlastet Erwachsene“, so Ulrike Gentner.

Rita Höfer, Fachreferentin für Familienpastoral im Bistum Speyer und damit unter anderem zuständig für die Erziehungsreihe „Kess-erziehen“, verwies in ihrem Grußwort darauf, dass die Überlegungen von Rudolf Dreikurs ein wichtiger Baustein in allen Kursen sei. „kess-erziehen vermittelt Eltern eine Einstellung, die das Zusammenleben in der Familie erleichtert: die gemeinsame Sorge für ein gutes Klima, ein gekonnter Umgang mit Konflikten, Strategien, um aus beginnenden Konflikten auszusteigen, die Ermutigung zu Verantwortungsübernahme, gegenseitiger Respekt und Freude am gemeinsamen Wachsen in einem liebevollen und erlebnisreichen Miteinander.“

Ermutigung macht stark

Mit diesen einführenden Worten war bereits der Boden für den sehr lebendigen und frei gehaltenen Vortrag von Dr. Beate Letschert, Autorin und Lehrbeauftragte an der Uni Hamburg, gelegt. Deren Thema lautete: „Ist denn „super“ noch zu toppen?“ Sie nahm die Antwort bereits vorweg: „Ja!“, und erläuterte anhand von zahlreichen Beispielen aus ihrem reichen Erfahrungsschatz, wie Ermutigung von Kindern und Jugendlichen von innen heraus gelingt.

Dabei nannte sie zunächst drei „Fehler“, die dazu führen, dass Kinder entmutigt werden. Der erste ist die Verwöhnung eines Kindes, die nicht hilft, auch wenn sie gut gemeint ist. Denn: „Verwöhnte Kinder lernen nicht die eigene Leistung und die von anderen anzuerkennen.“ Ebenso falsch sei ein pauschales Lob wie „Super! Klasse! Hast du toll gemacht!“ Viel wichtiger sei es, dem Kind eine konkrete Rückmeldung zu geben zu dem, was es gut kann, was es gut erledigt hat. Und schließlich schade falscher Ansporn und falscher Trost mehr, als er helfe. Deshalb seien „Ist doch nicht so schlimm! Du musst keine Angst haben!“ Aussagen, die das Kind nicht ernst nehmen, sondern ihm eher signalisierten, dass es nicht verstanden werde.

Im Vortrag ging Beate Letschert auf Erfahrungen und Beobachtungen ein, die sie mit Kindern im Grundschulalter in vielfältigen Situationen gemacht hat. Mühelos war es den Teilnehmenden möglich, diese Aussagen auch auf Jugendliche, Erwachsene, Eltern, Lehrer und Erzieher auszuweiten. Unabhängig vom Alter gelte die Anregung, die Ulrike Strubel vom Vorstand des VpIP formulierte: „Bei kritischen Rückmeldungen sollte man Person und Verhalten trennen. Das klingt dann beispielsweise so: „Dich mag ich nach wie vor, doch was du gesagt oder getan hast, das gefällt mir überhaupt nicht. Darüber will ich unbedingt mit dir sprechen.“

Wie Ermutigung gelingen kann

„Ein Kind braucht Ermutigung, wie die Pflanze Sonne und Wasser braucht“, betont auch Martina Ditscher, individualpsychologische Beraterin. Mehrere Workshops am Nachmittag gaben Ideen dafür, wie sie gelingen kann.

  • „Ermutigung – Türöffner fürs weitere Leben“. Dabei wurden einfache Methoden angesprochen, die zu einem guten Selbst¬wertgefühl und einem gesunden Selbstbewusstsein beitragen. Sie bieten für Kinder und Jugendliche gute Voraussetzungen für einen positiven Start ins (Berufs-)Leben.
  • Wie kommt es zu „Störverhalten“ bei Kindern und Jugendlichen? Das war die Frage in einem weiteren Angebot. Den Teilnehmenden wurde deutlich, dass die die Motive für störendes Verhalten eher erfassen, wenn sie nach dem „Wozu“ fragen als nach dem „Warum“.
  • Widerstand und Trotz sind Herausforderungen. Die Teilnehmer in diesem Workshop lernten Alternativen kennen zu den beiden Extremen Machtkampf und Nachgeben. Dabei geht es darum, den Selbstrespekt zu wahren und zugleich dem Gegenüber respektvoll zu bleiben.
  • „Wenn die Worte fehlen …“ Die Teilnehmenden lernten die Lingva Eterna®-Kommunikation kennen; sie verspricht einen wertschätzenden und von Vertrauen geprägten Zugang zu den Kindern oder Jugendlichen.
  • Auch das heikle Thema „Grenzen setzen ohne zu verletzen“ war Inhalt einer Arbeitsgruppe. Dabei ging es darum, wie Erwachsene Kindern und Jugendlichen echte und ehrliche Lernchancen bieten können und natürliche und logische Folgen dabei berücksichtigen.
  • Und schließlich ging es um „Echtsein statt Nettsein!“ – Wie kann man Freundlichkeit und Festigkeit im Umgang mit  Kindern/Jugendlichen mit Hilfe der Individualpsychologie umsetzen?

Überaus positive Resonanz

Am Ende des Fachtags war Jana Schmitz-Hübsch, Leitung der Familienbildung im Heinrich Pesch Haus, von dem Tag begeistert: „Die Atmosphäre des Tages war ganz besonders. Es war schön, so viele Menschen bei uns zu vereinen, die das gemeinsame Ziel des achtsamen und wertschätzenden Umgangs zum Beispiel in der Familie verfolgen und passende Kommunikationsstrukturen dafür suchen.“

Im Programm der Familienbildung im HPH finden sich weitere lehrreiche Veranstaltungen zur Qualifizierung und Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften.